Neue Musterverfahren bei der Einkommensteuer die Sie kennen sollten

Vorläufige Steuerfestsetzung (§ 165 Abs. 1 AO) im Hinblick auf anhängige Musterverfahren

Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung der Einkünfte aus Leibrenten – Verfassungsmäßigkeit der Höhe der kindbezogenen Freibeträge nach § 32 Abs. 6 Sätze 1 und 2 EStG

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschlüssen vom 29. September 2015 – 2 BvR 2683/11 – (HFR 2016 S. 69), vom 30. September 2015 – 2 BvR 1066/10 – (HFR 2016 S. 72) und vom 30. September 2015 – 2 BvR 1961/10 – (HFR 2016 S. 77) drei gegen die Neuregelung der Rentenbesteuerung durch das Alterseinkünftegesetz gerichtete Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt daher Folgendes:

Nummer 5 (Besteuerung der Einkünfte aus Leibrenten im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG für Veranlagungszeiträume ab 2005) der Anlage zum BMF-Schreiben vom 16. Mai 2011 (BStBl I S. 464), die zuletzt durch BMF-Schreiben vom 5. November 2015 (BStBl I S. 786) neu gefasst worden ist, wird mit sofortiger Wirkung gestrichen. Wegen der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Leibrentenbesteuerung kommt ein Ruhen von Einspruchsverfahren nicht mehr in Betracht.

Die Anlage zum BMF-Schreiben vom 16. Mai 2011 (a. a. O.) wird wie folgt gefasst:

„Festsetzungen der Einkommensteuer sind hinsichtlich folgender Punkte gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit und verfassungskonforme Auslegung der Norm vorläufig vorzunehmen:

1. Nichtabziehbarkeit der Gewerbesteuer und der darauf entfallenden Nebenleistungen als Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 5b EStG)

2.a) Abziehbarkeit der Aufwendungen für eine Berufsausbildung oder ein Studium als Werbungskosten oder Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 9, § 9 Abs. 6, § 12 Nr. 5 EStG) – für die Veranlagungszeiträume 2004 bis 2014 –

2.b) Abziehbarkeit der Aufwendungen für eine Berufsausbildung oder ein Studium als Werbungskosten oder Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 9, § 9 Abs. 6 EStG) – für Veranlagungszeiträumeab 2015 –

3.a) Beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3, 4, 4a EStG) – für die Veranlagungszeiträume 2005 bis 2009 –

3.b) Beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG (§ 10 Abs. 3 EStG) – für Veranlagungszeiträumeab 2010 –

3.c) Beschränkte Abziehbarkeit von sonstigen Vorsorgeaufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG – für Veranlagungszeiträumeab 2010 –

4. Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG für Veranlagungszeiträume ab 2005

5. Höhe der kindbezogenen Freibeträge nach § 32 Abs. 6 Sätze 1 und 2 EStG

6. Höhe des Grundfreibetrags (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG)

7. Berücksichtigung von Beiträgen zu Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit im Rahmen eines negativen Progressionsvorbehalts (§ 32b EStG)

8. Abzug einer zumutbaren Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) bei der Berücksichtigung von Aufwendungen für Krankheit oder Pflege als außergewöhnliche Belastung.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 1 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten folgenden Bescheiden beizufügen: Sämtlichen Einkommensteuerbescheiden für Veranlagungszeiträumeab 2008, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb erfassen, sämtlichen Körperschaftsteuerbescheiden für Veranlagungszeiträume ab 2008 sowie sämtlichen Bescheiden über die gesonderte (und ggf. einheitliche) Feststellung von Einkünften, soweit diese Bescheide Feststellungszeiträume ab 2008 betreffen und für die Gesellschaft oder Gemeinschaft ein Gewerbesteuermessbetrag festgesetzt wurde.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 2 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerbescheiden für Veranlagungszeiträumeab 2004 beizufügen. Ferner ist er im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Ablehnungen einer Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags (§ 10d Abs. 4 EStG) beizufügen, wenn der Ablehnungsbescheid einen Feststellungszeitpunkt nach dem 31. Dezember 2003 betrifft und die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Berücksichtigung von Aufwendungen für eine Berufsausbildung oder ein Studium als Werbungskosten oder als Betriebsausgaben beantragt wurde.

Für eine Aussetzung der Vollziehung in den Fällen der Nummer 2 gilt Folgendes: ◾Ein mit einem zulässigen Rechtsbehelf angefochtener Einkommensteuerbescheid für einen Veranlagungszeitraumab 2004 ist auf Antrag in der Vollziehung auszusetzen, soweit die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung oder sein Studium als Werbungskosten oder Betriebsausgaben strittig ist und bei einer Berücksichtigung dieser Aufwendungen die Einkommensteuer herabzusetzen wäre. Die Vollziehungsaussetzungsbeschränkung gemäß § 361 Abs. 2 Satz 4 AO und § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO gilt nicht (AEAO zu § 361, Nr. 4.6.1, vierter Absatz).

Ein Einkommensteuerbescheid, der die Steuer auf 0 Euro festsetzt, ist kein vollziehbarer Verwaltungsakt (AEAO zu § 361, Nr. 2.3.2, erster Beispielsfall) und kann auch nicht im Hinblick auf die Bindungswirkung der Besteuerungsgrundlagen für eine Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags in der Vollziehung ausgesetzt werden, da § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG zwar § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 351 Abs. 2 AO, nicht aber § 361 Abs. 3 Satz 1 AO und § 69 Abs. 2 Satz 4 FGO für entsprechend anwendbar erklärt. ◾ Die Ablehnung der Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags (§ 10d Abs. 4 EStG) ist auf Antrag in der Vollziehung auszusetzen, wenn sie einen Feststellungszeitpunkt nach dem 31. Dezember 2003 betrifft, die Ablehnung der Feststellung mit einem zulässigen Rechtsbehelf angefochten wurde und der Steuerpflichtige die Feststellung zur Berücksichtigung von Aufwendungen für seine Berufsausbildung oder für sein Studium als Werbungskosten oder Betriebsausgaben beantragt hatte. Weitere Voraussetzung für eine Aussetzung der Vollziehung ist, dass im Zeitpunkt der Entscheidung über den Vollziehungsaussetzungsantrag erkennbar ist, dass sich eine Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags in den Folgejahren steuerlich auswirken würde. Solange dies nicht der Fall ist, sind Anträge auf Aussetzung der Vollziehung wegen eines fehlenden Rechtsschutzinteresses abzulehnen. Zur Tenorierung einer Bewilligung der Aussetzung der Vollziehung gelten die Ausführungen im dritten Satz der Nummer 5.3 des AEAO zu § 361 entsprechend.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nr. 3 Buchst.c ist in Fällen unbeschränkter Steuerpflicht im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2010 beizufügen.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nr. 4 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2005 beizufügen. In die Bescheide ist zusätzlich folgender Erläuterungstext aufzunehmen: „Der Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten stützt sich auch auf § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO und umfasst deshalb auch die Frage einer eventuellen einfachgesetzlich begründeten steuerlichen Berücksichtigung.“

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nr. 5 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträumeab 2001 mit einer Prüfung der Steuerfreistellung nach § 31 EStG sowie den mit derartigen Einkommensteuerfestsetzungen verbundenen Festsetzungen des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer beizufügen. (Soweit Einkommensteuerfestsetzungen von bayerischen Finanzämtern durchgeführt werden, erstreckt sich der Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Höhe der kindbezogenen Freibeträge auch auf die nach § 51a Abs. 2 EStG modifizierte Bemessungsgrundlage für die Kirchensteuer). In Rechtsbehelfsverfahren gegen die Festsetzung der Einkommensteuer, des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer für den Veranlagungszeitraum 2014 gestellten Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO, § 69 Abs. 2 FGO) ist zu entsprechen, soweit unter Berücksichtigung eines um 72 Euro erhöhten Kinderfreibetrags je Kind die Steuer herabzusetzen wäre und im Übrigen die Voraussetzungen des § 361 AO oder des § 69 FGO erfüllt sind. Ein Einkommensteuerbescheid ist hinsichtlich des Kinderfreibetrags kein Grundlagenbescheid für die Festsetzung des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer (BFH-Urteile vom 27. Januar 2011, III R 90/07, BStBl II S. 543, und vom 15. November 2011, I R 29/11, BFH/NV 2012 S. 921); § 361 Abs. 3 Satz 1 AO und § 69 Abs. 2 Satz 4 FGO sind daher insoweit nicht anwendbar.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nr. 6 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträumeab 2001 beizufügen.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nr. 7 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen beizufügen, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erfassen.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nr. 8 ist in Fällen unbeschränkter Steuerpflicht im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen beizufügen.

Außerdem sind im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtliche Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2010 hinsichtlich der Kürzung der Beiträge zur Basiskrankenversicherung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst.a EStG um Bonuszahlungen der Krankenkasse für gesundheitsbewusstes Verhalten (§ 65a SGB V) gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO vorläufig vorzunehmen, falls Beiträge im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a EStG um Beitragserstattungen, Prämienzahlungen oder Bonuszahlungen einer gesetzlichen Krankenversicherung gekürzt wurden. In dem Steuerbescheid ist darauf hinzuweisen, dass der Vorläufigkeitsvermerk nicht die Frage einer Kürzung der Beiträge zur Basiskrankenversicherung um erstattete Beiträge und um Prämienzahlungen nach § 53 SGB V umfasst.

Ferner sind im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtliche Festsetzungen des Solidaritätszuschlags für die Veranlagungszeiträume ab 2005 hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorzunehmen.“

Quelle: BMF

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